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Produzierende Wirtschaft

Kreislaufwirtschaft im Industrie- und Gewerbebau

Wie bringt man Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz in den Industrie- und Gewerbebau? Am 12. Juni 2024 wurde diese Frage aus Theorie und Praxis beleuchtet und diskutiert. Expert:innen in diesem Bereich, wie Julia Reisinger, Gernot Schubert, Christoph Löffler und Gerald Schwaiger lieferten interessante und informative Beiträge unter anderem zum Einsatz nachwachsender Rohstoffe, zur Verlängerung der Nutzungsdauer und zur kreislauforientierten Planung und Umsetzung.

Zusammenfassung

Am 12. Juni 2024 wurde die Integration von Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz im Industrie- und Gewerbebau diskutiert. Andreas Van-Hametner stellte die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie vor, die kreislauforientierte Gebäudeentwicklung und die Verlängerung der Gebäudenutzungsdauer fordert. Julia Reisinger betonte die Bedeutung integraler und flexibler Planung im Industriebau und den Einsatz digitaler Tools wie BIMflexi. Gernot Schubert berichtete über Hilti’s nachhaltige Werkstrategien, inklusive der Einführung einer Nachhaltigkeits-Checkliste und dem Bau des ersten DGNB/ÖGNI-zertifizierten Industriegebäudes. Christoph Löffler stellte das Gewerbeprojekt „Greenity Gate“ und den Gebäuderessourcenpass „Circularity Passport“ vor. Gerald Schwaiger erklärte den Einsatz digitaler Zwillinge und Gebäudepässe zur Steuerung von Verbesserungsprozessen Richtung „zero carbon“. In der abschließenden Diskussion wurde über Überbauung, Gebäudeflexibilität und die Wettbewerbssituation gesprochen. Ebenso wurden die Auswirkungen der Berichtspflichten, die Anpassung von Unternehmensprozessen und die Akzeptanz von Adaptionsmaßnahmen bei Stakeholdern diskutiert.

Kreislaufwirtschaft und der Bausektor

Nach den Eröffnungsworten von Wolfgang Fischer von Co-Veranstalter Digital findet Stadt gab Andreas Van-Hametner eine Einführung in das Thema Kreislaufwirtschaft und seiner Bedeutung für die Bauwirtschaft. Unter Erwähnung der einzelnen Problematiken und auf Basis ihrer Aufgaben und Ziele führte er zentrale Punkte der österreichischen Kreislaufstrategie an, die darauf abzielt, den Ressourcenverbrauch zu verringern, Umweltbelastungen und Abfälle zu vermeiden, sowie die Ressourceneffizienz und die Wertschöpfung zu erhöhen und damit negativen sozialen, ökologischen sowie ökonomischen Auswirkungen entgegenzuwirken. Konkret in Bezug auf die Bauwirtschaft fordert die Strategie, dass…

  • Gebäude kreislauforientiert entwickelt werden,
  • die Nutzungsdauer von bestehenden Gebäuden verlängert und
  • die stoffliche Verwertung von Bodenaushub und Abfällen erhöht wird.

Erkenntnisse aus der Forschung

Angefangen bei den Maschinen und Prozessen, weiter zur Fertigungskette über umweltfreundliche Gebäude und Energiesysteme bis hin zum passenden Standort.
Es braucht eine integrale Planung für den nachhaltigen Industriebau. Darüber berichtete Julia Reisinger, Assistenzprofessorin am Forschungsbereich integrale Planung und Industriebau der TU Wien in ihrem Beitrag. Im Industriebau beschäftigt sie sich hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft sehr viel mit Flächen- und Ressourceneffizienz. Die variierenden Lebenszyklen eines Gebäudes spielen dabei eine zentrale Rolle. Unerlässlich um den Wandel im Industriebau zu meistern, ist eine umfassende, flexible Planung in der insbesondere Nutzungsänderungen, wechselnde Produktions- und Logistikkonditionen, Ressourcenoptimierung sowie Nachrüstbarkeit bedacht und berücksichtigt werden müssen. „Wie kann Industriebau ein zukunftsweisendes Modell bleiben?”, diese Frage warf die Forscherin dabei  in die Runde und ging auf zwei konkrete Forschungsprojekte ein.

Helfen können digitale Planungen und Simulationen, wozu Julia Reisinger unter anderem das Forschungsprojekt BIMflexi vorstellte, eine integrale Plattform zur flexiblen Industriebauplanung. Im Fokus dieses Projekts steht die Frage: „Wie kann Flexibilität von Anfang an mitgedacht werden?“ Die digitale Simulationsplattform kann verschiedenste Layoutszenarien für flexible Gebäudestrukturen generieren, die anschließend in ein parametrisches Gebäudeplanungsmodell integriert werden können, um die unterschiedlichen Varianten dann nach ihrer Performance und individuellen Zielen zu analysieren. Dies ermöglicht eine datenbasierte Entscheidungsfindung in frühen Planungsphasen und schafft in Zukunft wandelbare Produktionshallen.
Das aktuell laufende Projekt “RE:STOCK INDUSTRY” beschäftigt sich hingegen damit, Bestandsnutzen zu maximieren, Produktionsbetriebe in Gewerbeleerstände zu bekommen, Gebäude flächeneffizient und vertikal zu erweitern sowie mit lebenszyklusorientierter Bewertung und Dokumentation. Dabei wird ein neues Planungswerkzeug mit künstlicher Intelligenz verwendet, dass es künftig ermöglicht, das Gebäude mit einem Lidar-Sensor abzuscannen und Fotos von wesentlichen Bauteilen zu machen, um automatisch ein berechenbares Tragwerksmodell zu erhalten, wodurch die Struktur schneller, günstiger und nachhaltiger analysiert werden kann. Dazu legte Julia Reisinger konkrete Beispiele, wie die Wiederverwendung des baulichen Tragbestands, die Ausarbeitung innovativer, vertikaler Produktionskonzepte oder das integrieren kreislauf- und lebenszyklusorientierter Aspekte in die Bestandsanalyse, dar. Abschließend betonte sie nochmals die Wichtigkeit einer interdisziplinären Planung, integraler Simulationen und weiters den Einsatz quantifizierbarer Entscheidungstools für die frühe Planungsphase, um zukünftige Auswirkungen gleich zu erkennen.

Strategien und Erfahrungen aus Industriesicht

Im Anschluss gab Gernot Schubert – Sustainability Program Manager bei der Hilti Group – einen Praxisbericht zur nachhaltigen Ausrichtung von eigenen Werkanlagen, sowie um die strategische Ausrichtung in punkto Kreislaufwirtschaft im Werksbau bei Hilti.  Nach einem kurzen Einblick in das Unternehmen stellte Gernot Schubert ein mehrfach prämiertes Werk vor, das bereits vor 17 Jahren in Thüringen/Vorarlberg startete und nach wie vor Vorbildcharakter aufweist. Das Ziel war es, nachhaltige Maßnahmen in Bauprojekten zentral miteinzubeziehen. Die Ausgangsituation war folgende: bis 2007 hatte Hilti keine dezidierte Nachhaltigkeitsstrategie. Es gab zwar viele Einzelinitiativen doch keine globale Koordination. Zu Beginn lag der Fokus auf Energieeffizienz und die Nachhaltigkeitshemen wurden zu diesem Zeitpunkt von einzelnen, wenigen Mitarbeitern mit Herzblut aufgegriffen.  Schlussendlich war die Initiative dieser engagierten und motivierten Mitarbeiter der Stoß, der den Stein zum Rollen brachte. Weiters erklärt Gernot Schubert schrittweise, wie das Projekt damals zum Laufen gebracht wurde:

  • Durch eine Nachhaltigkeits-Checkliste für sogenannte “grüne Gebäude”,
  • die Auswahl des Generalplaners mit Nachhaltigkeit als Interesse,
  • die Entstehung von Resonanz zu dem Thema,
  • Diskussionen der Aspekte mit Fokus auf Energiethemen und
  • immer mehr Fokus auf Materialisierung, unter Betrachtung der Lebensdauer.

Das Resultat – auf das Schubert bis heute sehr stolz ist – war das erste DGNB/ÖGNI-Zertifizierte Industriegebäude. Im Anschluss gab er noch eine detailreiche Beschreibung über den Aufbau und die Flexibilität des Gebäudes, wobei er betonte, dass die Trennbarkeit bei der Materialisierung ganz wesentlich sei, also keine Sandwich-Panele zum Beispiel beim Hochregallager, die Bauzeitverkürzung durch den modularen Holzaufbau ermöglicht wurde und das Gebäude viel Tageslicht erhält.

Aktuell beschäftigt sich Gernot Schubert, zusammen mit seinen Kollegen, mit der sogenannten Nachhaltigkeitsstrategie, für die es drei Säulen gibt.
Diese konzentrieren sich auf die Prioritäten einerseits aus der Kundensicht, andererseits aus der internen Sicht. Daraus ergeben sich unterschiedliche Wünsche und Erwartungen.
Außerdem zählte Gernot Schubert mehrere Dimensionen auf, warum sich Zirkularität in Bauprojekten für das Unternehmen bezahlt macht.

  • Ökologie (durch Energieeffizienz)
  • Wirtschaft (durch reduzierte Kosten und Flexibilität)
  • Innovation (für Nachhaltigkeit)
  • Mitarbeiter (gesteigerte Motivation)

Alles in allem sind eine frühe Einbindung in die Projekte, sowie eine offene, nicht dogmatische Diskussion der Nachhaltigkeitsthemen der entscheidende Hebel für eine gute, kosteneffiziente Durchführung des Projekts und eine positive, konstruktive Stimmung im Team.

Chancen und Herausforderungen bei der Projektentwicklung

Christoph Löffler -Kreislaufwirtschaftsexperte von EPEA- beleuchtete in seinem Vortrag die Kreislaufwirtschaft aus Perspektive der Planung und Projektentwicklung. Er berät Unternehmen bei der zirkulären Optimierung von Produkten und Gebäuden und unterstützte vor zwei Jahren die Planung des Gewerbeprojekts „Greenity Gate“ hinsichtlich Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle.

Das Projekt Greenity Gate ist im Besitz der IG Immobilien, die sich ebenfalls die praktische Umsetzung der Kreislaufwirtschaft und einen ressourcenschonenden Umgang mit Baumaterialien als zwei ihrer größten Ziele setzten. Um möglichst früh das Thema Kreislaufwirtschaft miteinzubeziehen, wurde zu Beginn in der Projektbegleitung ein Cradle to Cradle Workshop organisiert, worauf eine C2C-Maßnahmenmatrix erstellt wurde. Als Referenzpunkt wurde anhand dessen noch ein C2C-Positionspapiert zusammengefasst.  Der Grundgedanke sei vor allem Transparenz und Messbarkeit zu etablieren, in diesem Fall durch den Gebäuderessourcenpass „Circularity Passport“. Dieser beruht auf einem Forschungsprojekt und dient der Bewertung und Optimierung der Regelbauteile.
Beispielsweise besteht schlussendlich ein Mehrwert durch einen demontierbaren, wiederverwendbaren Trockenestrich, eine lose verlegte und wiederverwendbare Schüttung, einzelne, trennbare Schichten und Trittschalldämmungen mittels Holzfaserdämmplatte.  Mit Fokus auf die Verwendung von bauökologischem, gesundem Material, Trennbarkeit und Flexibilität der Konstruktionen, Materialherkunft, Rezyklierbarkeit und Kreislauffähigkeit wird nun ein Entwurf geplant. Daran anknüpfend zeigte er einen Kontext zu den Werten ähnlicher Projekte.  Ein weiteres großes Thema stellt die Biodiversität dar, wofür die Landschaftsplanung Wien für das Logistikzentrum der EPEA GmbH ein Konzept erstellt hat. Basierend auf der Niederösterreichischen Artenschutzverordnung wurden Zielarten definiert, für die spezifische Habitate geschaffen werden sollen. Weiters ging er auf die Materialrestwertbetrachtung mittels Madaster ein. Alle Materialien und Produkte, die in Gebäuden oder Infrastruktur enthalten sein werden, werden erfasst, wodurch man unter anderem Aufschluss über die Trennbarkeit, das gebundene CO2 und die Toxizität von Materialien und Produkten erhält. Aber auch, ob sie beispielsweise wiederverwendet werden können. Das Projekt hat das DNGB Vorzertifikat in Platin für Nachhaltige Logistikgebäude erhalten.

Bestandgebäudezertifizierung als Praxisleitfaden zu „zero carbon“

Wie digitale Zwillinge und Gebäudepässe helfen können den Verbesserungsprozess von Bestandsgebäuden Richtung „zero carbon“ zu steuern, berichtete dann Gerald Schwaiger von Zertifix. Zu Beginn führte er einige ESG-Instrumente für Gebäude zum Erreichen der CO2-Neutralität an.

  • EU-Taxonomie (Einhaltung der EU-Taxonomie Anforderungen)
  • DGNB – Erreichung eines „DGNB – Gebäude im Betrieb“ Zertifikat (Gebäudezertifizierung)
  • CRREM Analyse (Dekarbonisierung der Gebäude) -> Nutzerverhalten, Verbrauch

Die EU-Taxonomie ist ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU. Sie soll umweltfreundliche und nachhaltige Investitionen fördern und umfasst folgende Ziele: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Schutz von Gewässern und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung/Reduktion der Umweltverschmutzung und die Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme. Wirtschaftliche Aktivitäten müssen mindestens zu einem Umweltziel einen positiven Beitrag leisten und dürfen keinem anderen Ziel erheblich schaden. Im Baubereich unterscheidet die Taxonomie zwischen Neubau, Bestand und Sanierung. Je nach Gebäudezustand sind unterschiedliche Umweltziele relevant.

Gerald Schwaiger stellte auch das DGNB-Zertifikat vor. Es berücksichtigt ökologische, ökonomische und soziokulturelle Aspekte und strebt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess an: Plan, Do, Check, Act. Ziel ist es, Unternehmen zu motivieren, nach jedem Zyklus ein besseres Zertifikat anzustreben. Abschließend ging er auf die CRREM-Analyse ein. CRREM steht für „Carbon Risk Real Estate Monitoring“ und überwacht das CO2-Emissionsrisiko in Immobilien. Diese globale Initiative unterstützt Immobilienunternehmen dabei, ihre Gebäude klimafreundlicher zu gestalten und den CO2-Ausstoß zu verringern, um den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu entsprechen.

Diskussion

Die finale Diskussions- und Fragerunde des Webinars umfasste einige interessante Punkte, wie die Frage nach höherer Überbauung, Mischnutzung und adaptive reuse bei Hilti. Das Unternehmen hat bei einem anderen Projekt in Ungarn bereits in zweiter Ebene gebaut. Allerdings wurde betont, dass die Art der Produktion dabei eine wichtige Rolle spielt. Weiters stellt sich die Frage, ob nicht die Flexibilität des Gebäudes bei mehreren Ebenen leidet.
Zudem entschied sich Hilti gegen eine Mischnutzung.

Die globale Wettbewerbssituation wurde ebenfalls diskutiert. Es wurde betont, dass Arbeitskosten wichtiger als Immobilienkosten für den Standortwettbewerb sind. Gesenkte Betriebskosten durch innovative Projekte an österreichischen Standorten können einen Standortvorteil darstellen. Ein langfristig planender Eigentümer kann unterstützend wirken, aber wirtschaftliche Kalkulation ist entscheidend.

Ein weiteres Thema war der Materialrestwert. Beim Kreisarchiv in Deutschland wurden Materialrestwerte in der Buchhaltung erfasst, was etwa 8% ausmachte. Christoph Löffler berichtete von 5%-15% der Baukosten. Es wurde betont, dass Taxonomie und Berichtspflichten nachhaltige Maßnahmen beschleunigen können. Die Akzeptanz von digitalen und Kreislaufwirtschaftsmaßnahmen ist hoch, und Plattformen wie BIMflexi gewinnen an Nutzern. Es bleibt eine Herausforderung, Unternehmensprozesse entsprechend zu ändern.

Die Förderung der Kreislaufwirtschaft im Industriebau erfordert eine bessere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Wichtige Faktoren sind bessere Ausbildung, Bauherren mit Innovationsoffenheit, die über ihre Komfortzone hinausgehen, ausreichende Datenverfügbarkeit und die Einführung von Lebenszykluskosten anstelle von Entwicklungskosten. Zukunftsorientiertes Denken und die Entwicklung neuer Konzepte erfordern ausreichend Zeit.

Take-Home-Messages
  • Die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie fordert kreislauforientierte Gebäudeentwicklung und die Verlängerung der Nutzungsdauer bestehender Gebäude.
  • Flexibilität in der Planung und der Einsatz digitaler Tools wie BIMflexi sind essentiell für die Verbesserung der Ressourceneffizienz im Industriebau.
  • Die Implementierung von Nachhaltigkeits-Checklisten und die Zertifizierung von Industriegebäuden nach DGNB/ÖGNI-Standards führen zu erfolgreich nachhaltigen Bauprojekte.
  • Digitale Zwillinge und Gebäudepässe können genutzt werden, um den Verbesserungsprozess von Bestandsgebäuden hin zu „zero carbon“ zu steuern.

(31.07.2024)

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